Tenji (Mitte), Kilian Jornet und David Göttler lernten sich beim Training im Khumbu-Eisbruch kennen. © Tenji Sherpa
Suunto-Athlet Tenji Sherpa ist kürzlich nach einem schwierigen Saisonstart im Everest-Basislager nach Lukla in Nepal zurückgekehrt. Dort grassierte die indische COVID-19-Variante. „Die Teams waren im Camp in ihren eigenen Bereichen untergebracht, anders als in den vergangenen Jahren, als ich mit Freunden anderer Unternehmen zusammenarbeiten konnte“, sagt Tenji. „Es ist eine verheerende Situation, von der ich hoffe, dass sie sich bald beruhigt, damit die Herbstklettertouren sicher fortgesetzt werden können.“
Unerledigte Geschäfte
Der 29-jährige Tenji freut sich nicht nur auf mehr Führungserfahrung; er hat auch einige ehrgeizige persönliche Klettertouren im Visier. Tenji gehört zu einer wachsenden Zahl nepalesischer Sherpas, die aus dem traditionellen Sherpa-Klischee ausbrechen und der Welt zeigen, dass sie genauso gut, wenn nicht sogar besser klettern können als viele ihrer westlichen Kollegen.
Ganz oben auf Tenjis Liste der Ziele steht der Lhotse (8516 m), der vierthöchste Berg der Welt. Im Mai 2018 versuchte Tenji im Gedenken an seinen verstorbenen Freund und Vorbild Ueli Steck, die gleiche waghalsige Überquerung zu vollenden, bei der die „Schweizer Maschine“ 2017 tragisch ums Leben kam. „Inspiriert von seiner Kraft und Unterstützung wollte ich den Everest ohne Sauerstoff besteigen und zum Gipfel des Lhotse gelangen“, sagt Tenji. „Leider wurde das Wetter zu gefährlich, um den Lhotse zu vollenden.“
Dieses Foto entstand während der Dreharbeiten zum Everest VR- Film. © Jon Griffith
Bescheidene Anfänge
Tenji wurde in einem kleinen Dorf namens Gudel im Distrikt Solokhumbu in Nepal geboren und wuchs dort auf. Sein Leben war einfach: Er musste täglich drei Stunden zur Schule pendeln, zu einer Zeit, als Sandalen noch als Luxus galten und Laufschuhe unbekannt waren. Als Junge sah er zu, wie seine Brüder und andere Dorfbewohner in die Berge zogen, um dort als Träger und Führer zu arbeiten.
Die Dorfältesten ermutigten Tenji, dasselbe zu tun, und 2007 arbeitete er als Träger, um sein Studium in Kathmandu zu finanzieren. „Der Umzug nach Kathmandu war eine große Veränderung im Vergleich zum Leben im Schatten des Everest“, sagt Tenji. „Ich wusste, ich gehöre zurück in die Berge. Deshalb begann ich 2012 mit dem Bergtraining und arbeitete in der Hochsaison weiterhin als Träger.“
Tenji erlangte Anfang 2019 seine internationale Qualifikation als Bergführer.
Tenji mit dem verstorbenen Ueli Steck auf der Jungfrau in der Schweiz im Jahr 2015. © Tenji Sherpa
Begegnung mit der Schweizer Maschine
Durch seine Arbeit als Träger kreuzten sich 2012 die Wege von Tenji und Ueli Steck. Dieser hatte sich mit seinen blitzschnellen Solobesteigungen einiger der anspruchsvollsten Berge der Welt einen Namen gemacht, darunter auch seine legendäre Solobesteigung der Südwand der Annapurna (8091 m). In der Nacht der Besteigung träumte Tenji von Ueli auf dem Gipfel. Und der Traum bewahrheitete sich.
„Von unserem ersten Treffen im Everest-Basislager an hatten Ueli und ich eine tolle Verbindung, die uns zu einer großartigen Kombination für das gemeinsame Klettern machte“, sagt Tenji. „Von ihm zu lernen, als wir 2012 gemeinsam den Everest bestiegen, war inspirierend und stärkte unser Selbstvertrauen. Das führte schließlich zu unserer Besteigung der berühmten Nordwand des Cholatse (6501 m). Gemeinsam mit Ueli war ich der erste und bis heute einzige Nepalese, der den Berg bestiegen hat.“
Tenji sagt, Ueli sei für ihn so etwas wie ein informeller Lehrer geworden. Er respektierte Tenjis Höhentauglichkeit, seine Arbeitsmoral und seinen Drang, sich selbst herauszufordern. Und Tenji war vom alpinen Kletterstil der Schweizer Maschine inspiriert – schnell, leicht und ohne Sauerstoff. „Ueli hat mir beigebracht, dass es an mir liegt, eine Idee umzusetzen, wenn ich sie habe.“
Im Jahr 2012 bestieg Tenji den Gipfel des Mount Everest ohne zusätzlichen Sauerstoff.
Tenji besteigt den Manaslu (8163 m) im Winter 2020. © Tenji Sherpa
Führung an der Spitze
Tenji ist mittlerweile als privater Bergführer tätig und arbeitet mit einem Schweizer Unternehmen zusammen. Er hat den Everest sieben Mal bestiegen, den Manaslu (8163 m) und viele Siebentausender des Himalaya. Er ist heiß auf neue persönliche Kletterprojekte, muss aber warten, bis die Pandemie unter Kontrolle ist. Die technische Herausforderung der Nordwand des Cholatse weckt weiterhin sein besonderes Interesse.
Als die Pandemie ausbrach, reiste Tenji ins Ausland, um Bergsteiger zu treffen, die eine Reise nach Nepal erwogen. Fünf Monate lang saß er in Großbritannien fest, bevor er einen Weg zurück nach Lukla fand. Er sagt, die Pandemie habe der nepalesischen Bergführerbranche nicht gut getan.
„Über ein Jahr ohne Bergführer bedeutete für uns eine herausfordernde Zeit“, sagt Tenji. „Aber trotz der Pandemie brachte die Frühjahrssaison dieses Jahr noch mehr internationale Bergsteiger als in jedem anderen Jahr, da im letzten Jahr so viele ihre Klettertouren verloren haben und die tibetische Seite für ausländische Bergsteiger gesperrt ist.“
Nach Jahren des Kletterns auf dem Dach der Welt ist Tenji vielleicht besser als viele andere auf die Unvorhersehbarkeit der ersten globalen Pandemie seit über einem Jahrhundert vorbereitet. Was hat ihn der Alpinismus schließlich über das Leben gelehrt? „Dass es sich sehr schnell ändern kann.“
Aufmacherbilder:
© Tenji Sherpa